Erklärung von Rising Tide - Netzwerk für Klimagerechtigkeit 2011

 

[In English]

Hintergründe der Erklärung

Rising Tide ist ein internationales Graswurzel-Netzwerk aus Gruppen und Einzelpersonen, die den Ursachen des Klimawandels mit direkten Aktionen begegnen und lokale, community-basierte Lösungen für die Klimakrise fördern. Es ist Teil einer umfassenderen globalen Bewegung für soziale und ökologische Gerechtigkeit.

Rising Tide wurde im November 2000 gegründet, um Proteste an den 6. UN-Klimaverhandlungen (COP6) in den Niederlanden zu organisieren. Das Netzwerk kam für eine Grundsatzerklärung zusammen, die eine ihrer Zeit vorauseilende Analyse und Annäherung an den Klimawandel lieferte; basierend auf dem Begriff 'soziale Gerechtigkeit' und einer Kritik der marktwirtschaftlichen Lösungen. Mehr als ein Jahrzehnt später, sind viele Teile der ursprünglichen, radikalen Analyse von sozialen Bewegungen, Mainstream-NGOs, Think Tanks und einigen politischen Parteien akzeptiert worden.

Faire und wirksame Lösungen zum Klimawandel sind allerdings nicht Wirklichkeit geworden, und deshalb ist unsere Aufgabe, den Ursachen des Klimawandels weiter zu begegnen und den Kampf für Klimagerechtigkeit fortzusetzen.

Dieses Papier baut auf der Rising Tide-Erklärung aus dem Jahr 2000 auf, um das wachsende internationale Netzwerk für das zweite Jahrzehnt im Kampf für Klimagerechtigkeit vorzubereiten.

Als internationales Netzwerk von Gruppen und Einzelpersonen der Graswurzelbewegung glauben wir, dass das Kyoto-Protokoll die Klimakrise nicht einzudämmen vermag. Im Gegensatz fördert das Protokoll das Eigeninteresse von Unternehmen und Industrienationen und marginalisiert Fragen der globalen Gerechtigkeit und der Ökologie.

Ursachen, falsche „Lösungen“

Rising Tide glaubt, dass die Wurzeln der Klimakrise im aktuellen globalen Wirtschaftssystem und seinem endlosen Streben nach wirtschaftlichem Wachstum um jeden Preis angelegt sind.

Unternehmensfreundliche und staatlich geförderte „Lösungen“ gegen den Klimawandel sind schlichtweg nicht in der Lage die Klimakrise zu lösen. Die aktuellen internationalen Klima-Debatten werden aus einem mangelhaften und ungerechten Blickwinkel aus geführt, weil sie auf den Interessen einer neoliberalen kapitalistischen Globalisierung beruhen, welche die reicheren Länder und Unternehmen bevorteilen.

Wir sind uns bewusst, dass eine solche Form der Globalisierung einen immer schnelleren Klimawandel begünstigt, und wir widersetzen uns dem Markt für Emissionshandel als eine Form des modernen Kolonialismus. Wir lehnen die Kernenergie als eine „Lösung“ für den Klimawandel ab, neben anderen falschen Lösungen, die entweder nicht zur Reduzierung der Emissionen beitragen oder uns mit neuen lokalen und globalen Risiken bedrohen.

Rising Tide glaubt, es ist existentiell dem Kapitalismus entgegen zu treten und unsere Abhängigkeit von der Industrie und den Institutionen zu verringern, die für Profite und Macht den Planeten zerstören. Gleichzeitig müssen wir daran arbeiten, soziale Gerechtigkeit, Gemeindeautonomie und einen nachhaltigen Lebensunterhalt zu erlangen.

Klimagerechtigkeit

Rising Tide glaubt, dass soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit zwischen und innerhalb der Länder in den Mittelpunkt der wirklich fairen Lösungen für den Klimawandel gehört.

Unternehmen, die mit den politischen Eliten zusammenarbeiten, spielen bei der Ausbeutung der „einfachen“ Menschen überall auf der Welt eine bedeutende Rolle. Diese offenbart sich am deutlichsten in der Plünderung der Ressourcen des globalen Südens durch die reichen Volkswirtschaften des globalen Nordens. Wir erkennen an, dass diese reichen Volkswirtschaften ökologische und soziale Schulden gegenüber den Menschen des globalen Südens angehäuft haben. Die ökologische Schuld, durch die Gewinnung, Verwendung und den Missbrauch von Ressourcen wie fossilen Brennstoffen, Mineralien, Wäldern und Meeren verursacht, erzeugt enorme soziale Schäden durch die politische, wirtschaftliche, kulturelle und emotionale Ausbeutung lokaler Gemeinden.

Eine Instandsetzung der Biosphäre und der Gemeinden, in denen solche Ausnutzung stattgefunden hat, kann nicht einfach durch Geldzahlungen geleistet werden. Reichtum und Ressourcen gehören weg von den Eliten hin in öffentlicher Kontrolle. Vor allem den Gemeinden in den südlichen Ländern und den indigenen Bevölkerungen muss die Kontrolle über Land und Ressourcen zurückgegeben werden.

Gerechter Übergang

Rising Tide will einen gerechten Übergang zu einer kohlenstoff- und verbrauchsarmen Wirtschaft, die auf das Wohlbefinden der Menschen konzentriert ist, nicht auf Gewinn. Dies bedeutet einen Übergang, der nicht die Geringverdienenden, sozial diskriminierte Gruppen oder schlecht bezahlte Mitarbeiter_innen der von fossilen Brennstoffen abhängigen Industrie am härtesten trifft.

Energie zur Deckung des Grundbedarfs ist ein wesentliches Element der Klimagerechtigkeit. Der Subsistenzverbrauch von marginalisierten Gruppen darf nicht im Fokus stehen, wenn die globalen Emissionen reduziert werden sollen. Genauso wenig darf die Reduktion durch „Bevölkerungskontrolle“ oder andere autoritäre Maßnahmen angestrebt werden, welche die Opfer des aktuellen Systems bestrafen, während Eliten ungebremst einen riesigen Ressourcenverbrauch an den Tag legen können.

Wir glauben, dass erfolgreiche Lösungen für den Klimawandel von organisierten transnationalen Bewegungen diskutiert und erstellt werden müssen, die den größten Wert auf die Forderungen und Vorschläge von Basisbewegungen in den am stärksten betroffenen Gebieten legen: zum Beispiel Gemeinden im globalen Süden, Inselstaaten, indigene Völker und Migrant_innen, Frauen- und Jugendorganisationen. Die Menschen, die kollektiv an sie betreffende Themen arbeiten, müssen die Kontrolle über diese Prozesse bekommen. Macht darf nicht in den Händen von Regierungen und privaten Unternehmen konzentriert sein, sondern muss dezentralisiert werden.

Wege nach Vorn

Wir wissen, dass die atmosphärische Konzentration von Treibhausgasen so drastisch und schnell wie möglich reduziert werden muss. Zu diesem Zweck setzt sich Rising Tide für ein sofortiges Ende der Erkundung und Förderung von fossilen Brennstoffen sowie einen gerechten, raschen Übergang weg von der Verbrennung fossiler Brennstoffe ein. Wir sehen ein, dass die Erhaltung, Sanierung und Restaurierung des Ökosystems unerlässlich sind, um den CO2-Anteil in der Atmosphäre zu senken und das Artensterben einzudämmen.

Praktische, klimaneutrale, gemeinschaftlich getragene Lösungen existieren. Es ist Zeit sie zu nutzen und sich mit ihnen gegen diejenigen Interessen zu wehren, die sie zu untergraben suchen.

Zum Aufbau wirklich gerechter Lösungen, müssen wir auch die Systeme der Unterdrückung demontieren, die unsere Kultur und uns selbst durchdringen. Rising Tide hat das Ziel enge Beziehungen zu Umwelt- und Klimaschutz-Gruppen zu knüpfen, die gegen die Verschmutzung durch fossil betriebene Fabrikanlagen kämpfen und sich mit denjenigen Menschen auf der ganzen Welt zu verbünden, die bereits vom Klimawandel betroffen sind. Wir sind uns bewusst, dass wir als Netzwerk unsere Anstrengungen verstärken müssen, um solidarische Beziehungen mit anderen Aktionsgruppen aufzubauen; und besonders mit den Menschen, die am meisten unter dem Klimawandel leiden. Wir müssen konsequenterweise auf echte Solidarität hinarbeiten - über Landesgrenzen und Trennlinien von Rasse, Klasse, Geschlecht, Fähigkeiten und sexueller Identität hinweg.

Rising Tide glaubt, dass wenn wir eine Kultur der gegenseitigen Hilfe und der Gemeindeautonomie aufzubauen beginnen, und wenn wir Veränderungen durch direkte Aktion und hierarchiefreie Organisierung erzielen, wir zeigen können, dass wir keine Regierungen oder Konzerne brauchen, um zu überleben und zufrieden zu leben.

Das internationale Rising Tide-Netzwerk befürwortet:

  • einen gerechten Übergang zu lokal gesteuerten, kohlenstoff- und verbrauchsarmen Wirtschaftskreisläufen
  • die sofortige, drastische Reduzierung der Treibhausgasemissionen
  • Lösungen für die Klimakrise, die durch die am stärksten betroffenen definiert sind und die lokale Autonomie und Autarkie fördern
  • die Wiedergutmachung der ökologischen und sozialen Schulden des globalen Norden durch Übertragung der Verfügungsgewalt von den Eliten hin in öffentliche Hand, so dass Gemeinden sich und ihre Umgebungen selbst wieder aufbauen können
  • die Freiheit der Bewegung und ein Ende der Migrations-Regulierung. Aktuelle und zukünftige Unterstützung für alle Vertriebenen und für diejenigen, die ein besseres und sichereres Leben für sich und ihre Familien schaffen wollen, indem sie internationale Grenzen überschreiten

Das internationale Rising Tide-Netzwerk wehrt sich gegen:

  • neue Projekten zur Erschließung und Förderung fossiler Brennstoffe
  • die Stromerzeugung aus Kernkraft, und andere gefährliche Technologien wie Geo-Engineering, industriellem Biotreibstoff, Gentechnik oder CSS
  • die „falsche Lösungen“, die verwendet werden, um sich der Verantwortung für die Emissionsminderung zu entziehen, einschließlich des Emissionshandels, CO2-Zertifikaten, REDD, dem Clean Development Mechanism und Joint Implementation-Projekten
  • die Kommerzialisierung und Privatisierung der weltweiten natürlichen Ressourcen und den Bau neuer ressourcengewinnender Infrastruktur; insbesondere dort, wo es von den lokalen Kommunen abgelehnt wird
  • die Maßnahmen der Regierungen des Nordens, deren Finanzhilfen für den Klimaschutz als ein Mittel zur Erhöhung der Schulden der Nicht-Industrieländern genutzt werden
  • die Kriminalisierung von und die Gewalt gegen Graswurzelbewegungen für soziale und ökologische Gerechtigkeit durch Staaten und Unternehmen

Signatories (October 2011)

  • Hyokyaalto (Finland)
  • Marea Creciente Ecuador
  • Marea Creciente Mexico
  • Rising Tide Australia
  • Rising Tide North America
  • Rising Tide UK

German Translation, February 2012
by M.A.G.I.E. magie.blogsport.de